30.6.2025
News

Stellenabbau per Psychotest? – Warum Eignungsdiagnostik keine rechtliche Legitimation für Kündigungen ist

André Kasten

Dr. Krasimira Zuckerman

Assessment-Center als Umstrukturierungsinstrument? – Warum psychologische Tests keine rechtliche Grundlage für Kündigungen oder Versetzungen bieten

In vielen Unternehmen des Finanz- und Versicherungssektors häufen sich derzeit Fälle, in denen Führungskräfte im Zuge von Restrukturierungen dazu aufgefordert werden, sich auf ihre bisherige Stelle „neu zu bewerben“. Oft geschieht dies im Rahmen interner Assessment-Center, Potenzialanalysen oder psychologischer Eignungstests. Die offizielle Begründung lautet regelmäßig, man wolle Führungsverhalten neu bewerten, kulturelle Passung sicherstellen oder Leadership neu definieren. Tatsächlich jedoch handelt es sich in vielen Fällen um strategische Selektionsmechanismen, die arbeitsrechtlich höchst fragwürdig sind und für die Betroffenen erhebliche Risiken bergen – insbesondere dann, wenn im Anschluss eine Versetzung oder gar eine Kündigung angedroht oder ausgesprochen wird.

Aus anwaltlicher Sicht besteht keinerlei Verpflichtung für eine Führungskraft, sich auf ihre bestehende, ungekündigte Position erneut zu bewerben oder an einem Assessment-Center teilzunehmen, wenn hierfür keine klare vertragliche oder kollektivrechtliche Grundlage besteht. Weder das Direktionsrecht nach § 106 GewO noch eine allgemeine arbeitsvertragliche Nebenpflicht können ein solches Verfahren rechtfertigen – zumal damit regelmäßig ein erheblicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einhergeht. Auch datenschutzrechtlich ist die Erhebung und Bewertung psychologischer Daten ohne ausdrückliche, informierte und freiwillige Einwilligung unzulässig. Eine rechtlich tragfähige Pflicht zur Teilnahme ergibt sich daraus nicht.

Noch gravierender sind die arbeitsrechtlichen Defizite solcher Verfahren im Zusammenhang mit Kündigungen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind bei betriebsbedingten Kündigungen ausschließlich objektivierbare Kriterien maßgeblich: der tatsächliche Wegfall des Arbeitsplatzes, die fehlende Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung auf einem freien und gleichwertigen Arbeitsplatz sowie die ordnungsgemäße Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG. Für letzteres zählen Lebensalter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung und Betriebszugehörigkeit – nicht aber persönliche Einschätzungen aus internen Testverfahren. Wer in einem Assessment-Center schlecht abschneidet oder vermeintlich „nicht ins neue Führungsbild passt“, erfüllt damit noch lange nicht die Voraussetzungen für eine sozial gerechtfertigte Kündigung. Die Sozialauswahl kann durch solche Verfahren weder ersetzt noch relativiert werden.

Auch bei Änderungskündigungen gilt, dass der Arbeitgeber darlegen und beweisen muss, warum die bisherige Position entfällt und keine anderweitige gleichwertige Beschäftigung mehr möglich ist. Ob ein Arbeitnehmer zuvor in einem Testverfahren „überzeugt“ hat, ist insoweit vollkommen unerheblich.

Dasselbe gilt im Übrigen auch für Versetzungen. Auch hier unterliegt der Arbeitgeber rechtlichen Grenzen. Die Zuweisung einer neuen Tätigkeit ist nur dann zulässig, wenn sie sich im Rahmen des vertraglich vereinbarten Aufgabenbereichs bewegt und inhaltlich gleichwertig ist. Eine „Herabstufung“ – etwa durch Wegfall von Budgetverantwortung, Führungsbefugnissen oder Hierarchieebenen – stellt keine zulässige Versetzung mehr dar, sondern bedarf einer einvernehmlichen Vertragsänderung oder einer Änderungskündigung. Dass eine Führungskraft in einem internen Assessment als „nicht mehr führungsfähig“ eingestuft wurde, ändert an dieser Rechtslage nichts.

Besonders gefährlich ist die Tendenz vieler Unternehmen, solche Verfahren als faktisch verpflichtend darzustellen. Häufig wird suggeriert, dass eine Nichtteilnahme negative Folgen haben könne – etwa im Hinblick auf die Bewertung, die weitere Karriere oder die Zukunftssicherheit der Position. Hier ist entschieden zu widersprechen: Eine Teilnahme kann nur verlangt werden, wenn hierfür eine rechtliche Grundlage besteht. Eine Teilnahme aus Angst vor Nachteilen ist selten eine gute Entscheidung – insbesondere nicht für erfahrene Führungskräfte mit langjähriger, erfolgreicher Tätigkeit.

Aus anwaltlicher Sicht ist diese Entwicklung daher mit großer Skepsis zu betrachten. Die zunehmende Verlagerung arbeitsrechtlicher Beurteilungen auf pseudowissenschaftliche Verfahren, die weder standardisiert noch objektiviert sind, unterläuft zentrale Prinzipien des Kündigungsschutzrechts. Ein psychologischer Test kann und darf keine Entscheidungsgrundlage für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses sein – ebenso wenig wie die subjektive Einschätzung eines internen Auswahlgremiums. Wer als Führungskraft betroffen ist, sollte sich nicht vorschnell unterwerfen, sondern rechtzeitig beraten lassen. In den meisten Fällen ist die rechtliche Position deutlich stärker, als es das Verfahren vermuten lässt.

Und genau hier zeigt sich, warum Justitia zu Recht die Augen verbunden trägt. Sie urteilt nicht nach Führungsraster, Talentfarben oder AC-Ergebnissen – sondern nach klaren gesetzlichen Kriterien. Sie fragt nicht, wie sympathisch oder modern jemand wirkt, sondern ob eine Kündigung sozial gerechtfertigt ist, ob die Versetzung den vertraglichen Rahmen wahrt, ob das Verfahren fair war. Ihre Blindheit ist kein Mangel, sondern ihr größter Vorzug: Sie schützt uns vor willkürlicher Bewertung, vor Tendenzdiagnostik, vor strategisch motivierter Auslese.

Führungskräfte, die sich in solchen Verfahren wiederfinden, sollten genau das im Blick behalten. Ihre Erfahrung, ihre Erfolge und ihre Integrität werden nicht in Multiple-Choice-Fragen gemessen. Sondern an ihrer Bereitschaft, für sich einzustehen – und die Spielregeln nicht kampflos denjenigen zu überlassen, die gerade das Spielfeld neu zeichnen.